Von Alex Steudel
Ich mache mir Sorgen um Julian Nagelsmann, den Bayern-Trainer, der stets sagt, was er denkt, und dabei keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Ich bete, dass das so bleibt, aber ich fürchte, irgendwann könnte er damit aufhören, also dann, wenn es ihn nur noch nervt, dass sich immer häufiger jemand findet, der sich darüber aufregt, was er gesagt hat. Ich nenne es das Mehmet-Scholl-Syndrom.
Aber warum gibt’s das überhaupt?
Nach einem Jahr beim Rekordmeister ist es ja fast schon ein Wunder, dass der erst 35-Jährige das weiter so durchzieht. Unzählige andere Menschen vor Nagelsmann erschraken und reagierten schnell, wenn sie merkten, was es für einen Unterschied macht, ob du als Linksverteidiger des VfL Osnabrück einen raushaust oder als Spieler von, sagen wir mal: Borussia Dortmund.
Als Nagelsmann noch Trainer in Hoffenheim war und Niklas Süle/Sebastian Rudy den Klub verließen, sagte er: “Der Bauer muss sich auch ab und zu von seinen Kühen und Schweinen trennen.” Heute würde er vermutlich einen Offenen Brief des Bauernverbands und einen von “Vegetarier für Deutschland” (falls es die gibt) bekommen, und von 27 Bundestagsabgeordneten gäbe einen Einlauf (sorry, das war ein Wortspiel, ich hoffe, dass es kein Protestschreiben des Deutschen Darmverbands zur Folge hat). Auf Twitter würden sich so dermaßen viele Leute über ihn aufregen, dass der Aktienkurs um 4 Dollar steigt.
Als Nagelsmann kürzlich sagte: “Wir sind hier nicht bei der freiwilligen Feuerwehr Süd-Giesing”, da lachte keiner, es gab wütende Proteste, und am Ende musste Nagelsmann der Feuerwehr einen Höflichkeitsbesuch abstatten und 29mal sagen, wie wichtig Feuerwehren sind.
Der Witz ist: Er hatte nur einen lockeren Spruch gemacht. Niemand zweifelt daran, dass die Freiwillige Feuerwehr tolle Arbeit leistet, und ich bin mir sicher: auch nicht Nagelsmann. Er weiß nur besser als andere, dass er sich in einer Unterhaltungsbranche aufhält. Seine Vorlage wurde trotzdem dankend aufgenommen.